Das
Weihnachtsgeschenk >>>
Ihr ganzes Vermögen
war ein Dollar, 87 Cents, davon 60 Cents in Pennystücken. Alles mühsam
zusammengekratzt und gespart. Und morgen war Weihnachten. Nichts blieb
übrig, als sich auf die kleine schäbige Couch zu werfen und zu
heulen. Das tat Della dann auch, und es beweist uns, dass sich das Leben
eigentlich aus Schluchzen, Seufzen, und Lächeln zusammensetzt, wobei
das Seufzen unbedingt vorherrscht. Inzwischen betrachten wir das Heim etwas
näher. Es ist eine kleine möblierte Wohnung zu acht Dollar in
der Woche. Sie sieht nicht gerade armselig aus, ist davon aber auch nicht
allzu weit entfernt. Unten im Hausflur hängt ein Briefkasten, in den
niemals Briefe geworfen werden; daneben steckt der Knopf einer elektrischen
Klingel, der kaum jemand einen Ton abschmeichelt. Weiter befindet sich
dort auch eine Karte, die den Namen "Mr. James Dillingham Young" trägt.
Wenn Mr. J. D. Y. abends seine Etage erreicht, wird er "Jim" gerufen und
von Frau J. D. Y., uns bereits als Della bekannt, zärtlich umarmt.
Della hörte zu weinen
auf und ging zum Fenster. Bedrückt schaute sie einer grauen Katze
zu, die im grauen Hinterhof über einen grauen Zaun balancierte. Morgen
war Weihnachten und sie hatte nur das wenige Geld, um Jim ein Geschenk
zu kaufen.
Im Zimmer hing zwischen
den Fenstern ein Spiegel. Wie hingewirbelt stand Della plötzlich mit
hell leuchtenden Augen vor ihm. Rasch löste sie ihr Haar und ließ
es in seiner ganzen Länge fallen.
Im Besitze der J. D. Y.s
gab es zwei Dinge, in die sie ihren ganzen Stolz setzten. Das eine war
Jims goldene Uhr, die vor ihm seinem Vater und seinem Großvater gehört
hatte. Das andere war Dellas Haar. Wie ein goldener Wasserfall fiel es
glänzend und sich kräuselnd an ihr herab. Es reichte ihr bis
unter die Knie und formte beinahe einen Mantel.
Mit nervösen Fingern
steckte sie es rasch wieder auf. Einmal zögerte sie einen Augenblick.
Zwei Tränen fielen auf den abgetretenen roten Teppich. Sie schlüpfte
in die alte braune Jacke, setzte den alten braunen Hut auf und huschte
zur Tür hinaus. Sie stand erst still, als sie bei einem Schild anlangte,
auf dem zu lesen war: "Mme. Sofronie, An- und Verkauf von Haar aller Art."
In einem Satz rannte Della ein Stockwerk hinauf; keuchend hielt sie an
und fasste sich.
"Kaufen Sie mein Haar?",
fragte Della.
"Ich kaufe Haar", sagte
Madame. "Nehmen Sie den Hut ab und zeigen Sie, was Sie haben."
Herunter rieselte der goldene
Wasserfall.
"20 Dollar", mit geübter
Hand wog Madame die Masse.
"Geben Sie es, rasch", sagte
Della.
Oh, und die zwei folgenden
Stunden vergingen wie auf rosigen Schwingen. Vergessen war die zermürbende
Vorstellung der fehlenden Haare. Sie durchstöberte die Läden
auf der Suche nach Jims Geschenk.
Endlich fand sie es. Sicher
war es für Jim und niemand anders gemacht. Nichts kam ihm gleich,
in keinem der Läden. Es war eine Platinuhrkette, einfach und geschmackvoll
in Form und Zeichnung. Sobald Della die Kette sah, wusste sie, dass sie
Jim gehören musste. Einundzwanzig Dollar nahmen sie ihr dafür
ab und mit den 87 Cent eilte sie heim. Mit dieser Kette an seiner Uhr durfte
Jim in jeder Gesellschaft so eifrig als er nur wollte nach der Zeit sehen.
So schön die Uhr war, schaute er manchmal scheu darauf, weil das alte
Lederband, das er an der Stelle einer Kette benützte, so schäbig
war.
Als Della zu Hause ankam,
ließ ihr Taumel nach und sie wurde etwas vernünftig. Sie holte
die Brennschere heraus, zündete das Gas an und machte sich an die
Arbeit. Nach vierzig Minuten war ihr Kopf mit kleinen, nahe beisammen liegenden
Löckchen bedeckt, die ihr das Aussehen eines Lausbuben gaben. Lange
schaute sie ihr Bild an, das der Spiegel zurückwarf. "Wenn Jim mich
nicht tötet", sagte sie zu sich selbst, "so wird er sagen, ich sehe
aus wie ein Chormädchen. Aber was sollte ich tun - oh, was konnte
ich tun mit einem Dollar und 87 Cents?"
Um sieben war der Kaffee
gemacht, und die heiße Bratpfanne stand hinten auf dem Ofen, bereit,
die Koteletts aufzunehmen, die darin gebraten werden sollten.
Jim kam nie spät. Della
nahm die Kette in die Hand und setzte sich auf den Tisch bei der Tür,
durch die er immer hereinkam. Dann hörte sie entfernt seinen Schritt
im ersten Stockwerk und für einen Augenblick wurde sie ganz weiß.
Sie hatte die Gewohnheit, im Stillen kleine Gebete zu sagen und sie flüsterte
vor sich hin: "Lieber Gott, mach, dass er denkt, ich sei immer noch hübsch."
Die Tür öffnete
sich. Jim kam herein und schloss sie. Er war mager und hatte ein ernstes
Aussehen. Er hätte dringend einen neuen Mantel gebraucht und hatte
keine Handschuhe. - Jim stand bei der Türe still, so unbeweglich wie
ein Jagdhund, der eine Fährte wittert. Seine Augen waren auf Della
gerichtet und hatten einen Ausdruck, den sie nicht deuten konnte, und der
sie erschreckte. Es war nicht Ärger. Della sprang vom Tisch herunter
und lief zu ihm auf.
"Jim, Lieber", rief sie
weinend. "Schau mich nicht so an. Ich ließ mein Haar abschneiden
und verkaufte es, weil ich es nicht ausgehalten hätte, dir kein Geschenk
zu Weihnachten zu geben. Es wird wieder nachwachsen. Du bist nicht böse,
nicht wahr? Ich musste es einfach tun. Mein Haar wächst unheimlich
schnell. Sag 'Fröhliche Weihnachten'! Jim, und lass uns glücklich
sein. Du weißt ja gar nicht, welch schönes - wunderbar schönes
Geschenk ich für dich habe."
"Dein Haar hast du abgeschnitten?"
fragte Jim mühsam, als hätte er selbst mit strenger geistiger
Arbeit diese offensichtliche Tatsache noch nicht erfasst.
"Abgeschnitten und verkauft",
sagte Della. "Verkauft ist es, sag ich dir, verkauft und fort. Heute ist
doch Heiliger Abend, du. Sei lieb, es ist doch für die. Sei lieb,
ich gab es doch für dich weg. Soll ich jetzt die Koteletts auflegen,
Jim?" Nun Jim aus seinem Trancezustand zu erwachen. Er nahm Della in seine
Arme. Für zehn Sekunden wollen wir diskret irgendeinen belanglosen
Gegenstand in entgegengesetzter Richtung betrachten.
Dann zog Jim ein Päckchen
aus seiner Manteltasche und warf es auf den Tisch. "Du musst dir nichts
Falsches vorstellen über mich, Della", sagte er. "Ich glaube, da gäbe
es kein Haarschneiden oder Dauerwellen in der Welt, das mich dazu brächte,
mein Frauchen weniger zu lieben. Aber wenn du das Paket da auspackst, wirst
du sehen, warum ich mich zuerst eine Weile nicht erholen konnte."
Weiße Finger zogen
an der Schnur, rissen am Papier. Ein begeisterter Freudenschrei. Und dann
- oh weh - ein rascher, echt weiblicher Wechsel zu strömenden Tränen
und lautem Klagen erforderte die Anwendung sämtlicher tröstender
Kräfte und Einfälle des Herrn des Hauses. Denn da lagen sie,
die Kämme - die Garnitur von Kämmen, seitlich und rückwärts
einzustecken, die Della so lange im Schaufenster einer Hauptstraße
bewundert hatte. Fabelhafte Kämme, echtes Schildpatt, mit echten Steinen
besetzt - gerade in den Farbtönen, die in dem verschwundenen Haar
so schön gespielt hätten. Es waren teure Kämme. Sie wusste
es. Mit ganzem Herzen hatte sie diese Wunder begehrt. Und jetzt gehörten
sie ihr, aber die Zöpfe, die mit diesen begehrenswerten Schmuckstücken
hätten geziert werden sollen, waren fort.
Trotzdem drückte sie
sie an ihr Herz und endlich konnte sie auch mit verschleierten Augen aufsehen
und lächelnd sagen: "Mein Haar wächst ja so schnell, Jim!"
Und dann sprang Della auf
wie eine kleine Katze, sie sich gebrannt hatte, indem sie immerzu "Oh,
oh" rief. Jim hatte ja sein wunderschönes Geschenk noch nicht gesehen.
Sie hielt es ihm auf der offenen Hand eifrig entgegen. Das wertvolle, matt
glänzende Metall schien ihre heitere und feurige Seele widerzuspiegeln.
"Ist es nicht großartig
- das einzig Wahre? Ich habe danach gejagt, bis ich es fand. Du wirst jetzt
jeden Tag hundertmal sehen müssen, wie viel Uhr es ist. Gib mir deine
Uhr, ich muss sehen, wie die Kette daran aussieht."
Anstatt zu gehorchen, machte
es sich Jim auf der Couch bequem, legte die Hände hinter den Kopf
und lächelte.
"Dell", sagte er, "wir wollen
unsere Weihnachtsgeschenke noch für einige Zeit aufbewahren, sie sind
zu schön, als dass wir sie jetzt gebrauchen könnten. Denke, ich
habe die Uhr verkauft, um das Geld für deine Kämme zu erhalten.
Und jetzt, glaub ich, ist es das Beste, du stellst die Koteletts auf."
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