Die unheimliche Begegnung >>>


"Dort hinter dem Tannenwald muss die Ruine liegen...!" schreit Marc vom Baum herunter.
"Komm endlich runter, es wird dunkel...", antwortet Ted mit matter Stimme.
Marc rutscht den Stamm herab und springt seinem Freund Ted vor die Füße. "Eine Sicht von da oben, sag ich dir! Man kann bis Karlsruhe schauen!"
"Wenn wir nur erst da wären...!"
"Sssssch..., der heiße Tschaj in der alten Höhle von Sankt Barbara, der macht high!"
"High? - Wieso? Da ist nichts drin, was high macht", brummt Ted vor sich hin und trottet müde weiter.
"Na ja, Kopf hoch! Die anderen sind längst da und richten bestimmt etwas Nahrhaftes für uns. War doch immer so!"
Ted schweigt und humpelt weiter.
"Hauptsache, es regnet nicht...", meint Marc versöhnlich. Aber kaum hat er das gesagt, da fallen die ersten Tropfen.
Was Marc auch versucht, es gelingt ihm nicht, die Stimmung zu heben, und sie haben noch eine gute Stunde bis zur alten Barbarakapelle.
Da - was ist das?
Hinter ihnen ertönen Schreie. Dann hört man leises Seufzen, klagende Stimmen.
Marc und Ted bleiben wie angewurzelt stehen. "Psst, doch!" zischt Marc heiser und deutet in den Wald. "Vom Weg runter...!" Erneut ist ein durchdringendes Kreischen zu hören.
Die beiden Freunde tasten sich durch einen Graben und verstecken sich hinter zwei dicken Baumstämmen.
"Öööööhhh..." Die Töne kommen immer näher, werden immer lauter. Unheimlich, grausig: "Ööööööhh..." "Das müssen quietschende Bremsen sein oder so was", flüstert Marc.
"Bremsen??"
"Vielleicht ein Pferdefuhrwerk..."
Ted tippt sich an die Stirn.
Beide blicken angestrengt die Waldstraße hinauf. Tatsächlich, da kommt ein Wagen um die Biegung.
"Ein Fuhrwerk, das zum nächsten Dorf fährt", meint Marc scharfsinnig.
"Was wohl sonst?!" brummt Ted sichtlich erleichtert.
Beide mustern mit ihren Blicken das seltsame Gefährt. Und was sie jetzt sehen, verschlägt ihnen die Sprache. Ted greift sich an den Hals, als würde ihm der Hemdkragen zu eng. Nein, das kann doch nicht wahr sein! Da fährt ein schwarzer Leichenwagen... Und jetzt, o nein!, der Wagen hält. "Brrr...!" schreit es vom Kutschbock. Der aufgeputzte Rappe wendet seinen Kopf zur Seite und blickt mit traurigen Augen herüber.
"Was ist das...?" flüstert Marc mit belegter Stimme.
Nun dreht sich auch der verstummte Kutscher langsam um und blickt auf den schwarzen Sarg, der hinter ihm auf dem Wagen steht.
Ted greift nach dem Arm seines Freundes. Im Dämmerlicht der hereinbrechenden Nacht wirkt die Szene gespenstisch. Und dann geschieht das Unfassbare: Langsam hebt sich der Deckel des Sarges, ganz langsam, wie in Zeitlupe, und -  nein, das kann nicht sein - da schiebt sich eine Hand, eine bläulich-gelbliche Hand aus dem Sarg, öffnet die Handfläche und winkt ihnen zu!
Marc hört nicht das Keuchen seiner eigenen Lunge, und Ted meint bereits, den Hauch des Todes zu verspüren. Er atmet heftig und will sich gerade mit einem Schrei vom Spuk befreien - da bleibt ihm der Schrei im Halse stecken, denn sie Szenerie ändert sich plötzlich. Der Kutscher lässt den hochgezogenen Mantel von den Schultern gleiten, beugt sich weit nach hinten und ruft: "Schorsch, komm raus; es hat aufgehört zu regnen...!"
Nun hebt sich der Sargdeckel ganz, und ein Mann entsteigt umständlich dem Kasten.
"Ein...ein Scheintoter!" flüstert Ted. "Ein lebendiger Leichnam...!"
Doch Marc hat die Beherrschung zurückgewonnen: "Ach was, der hat sich doch nur in den Sarg gelegt, weil es regnete!" Seine Stimme klingt allerdings noch ein wenig hohl.
Der Leichenwagen hat sich wieder in Bewegung gesetzt und fährt quietschend davon.
"Wollen wir aufsitzen und ein Stück mitfahren?" grinst Marc und deutet auf den langsam im Dunkel verschwindenden Wagen. Aber Ted schüttelt nur heftig den Kopf.


 
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